Das letzte Mal sass Beatrice Nussbaumer vor rund 60 Jahren an einem Pult. Damals war sie Schülerin der «Katholischen Mädchensekundarschule» im Schulhaus Hirschengraben und wurde von Menzinger Schwestern unterrichtet. Heute sitzt sie zusammen mit dem 12-jährigen Adrian Grimmer und der 41-jährigen Maya Keller in einem Klassenzimmer der Katholischen Schule Wiedikon und schnuppert wieder einmal die typische Schulzimmer-Atmosphäre. «Meine Eltern wollten, dass ich in die Katholische Schule gehe, weil sie einen guten Ruf hatte und die Kinder dort artig waren», erinnert sich die 74-jährige Zürcherin. «Wir Kinder hatten zur Schulwahl nichts zu sagen.» In einer Klasse mit lauter braven Mädchen fühlte sich Beatrice durchaus wohl – aber es war klar: «Man war gezwungen, artig zu sein. Meine Schwester, die eher rebellisch war, fand das gar nicht toll.»
Schülerball und Kinobesuch
Vor rund 16 Jahren wurde ebenfalls auf die Atmosphäre in der Klasse geachtet, aber mit anderen Mitteln: Maya Keller erinnert sich an eine eher schwierige Klasse mit nur vier Mädels und 16 Jungs. «Wir hatten aber eine sehr liebenswürdige und wohlwollende Lehrerin, die auch die schwierigen Kinder nicht mit Härte, sondern mit Güte erzogen hat.» Das habe gut funktioniert. Dieses klare, aber immer liebevolle Anleiten und Führen sei ein Wert, den sie auch selber heute in ihrem Familienalltag als Mutter zweier kleiner Kinder umsetze.

Die Freien Katholischen Schulen Zürich prägen seit Generationen: Beatrice Nussbaumer (74), Adrian Grimmer (12) und Maya Keller (41) und im Gespräch. (Foto: Christoph Wider)
Adrian ist aktuell Schüler in der Katholischen Schule. Er hatte bereits davor Kollegen, die hier zur Schule gingen. Als seine frühere Schulklasse immer unruhiger geworden sei, habe auch er wechseln wollen. Highlights sind für ihn das bevorstehende Klassenlager und der Schülerball vor zwei Jahren: Da habe es Gewinnspiele und viele andere Attraktionen gegeben. Beatrice Nussbaumers Schulhöhepunkte vor sechzig Jahren waren die gemeinsamen Kinobesuche mit der ganzen Klasse. «Damals kam man nicht so leicht ins Kino, das war etwas ganz Besonderes. Wir haben vorher und nachher darüber diskutiert und so viel gelernt.»
Weniger cool, sondern eher ein grosses Opfer war für sie dagegen die Schülermesse: «Wir mussten jeden Mittwoch morgens um sieben Uhr in der Liebfrauenkirche erscheinen – auch wenn man von weit her kam, wie ich aus Oerlikon!» Da staunt Adrian: «Bei uns gibt es auch Gottesdienste, aber nur etwa drei oder vier pro Jahr. Und sie sind nicht so schlimm», erklärt er. «Es bereitet immer eine Klasse den Gottesdienst vor. Alle Texte, die wir vorlesen, formulieren wir selbst. Letztes Mal haben wir sogar ein Rollenspiel gemacht, das war cool.» Das hätte auch Beatrice Nussbaumer gefallen: «Wir durften nichts mitgestalten. Wenn wir gefehlt haben, gabs sogar einen Abwesenheitseintrag, wie wenn wir die Schule geschwänzt hätten!»
Maya Keller erwähnt das damals jährliche grosse Schulfest, bei dem es jeweils einen Gottesdienst gab. «Ich erinnere mich aber besser an die Geisterbahn, die wir fürs Schulfest vorbereitet haben. Es gab auch einen riesigen Flohmarkt, das war toll.» Das Religiöse erlebte sie eingebettet in den Schulunterricht: «Wir hatten zwei Lektionen Religion und mussten dazu nicht anderswohin gehen, das fand ich gut.» Während zu Beatrice Nussbaumers Zeiten alle Kinder katholisch waren, so gab es vor 16 Jahren in der Klasse von Maya Keller ganz selbstverständlich viele Reformierte. Heute bei Adrian gibt es verschiedene Religionen sowie Kinder ohne Kirchenzugehörigkeit in der Klasse. «In Gottesdiensten übernehmen die meisten Kinder gerne Aufgaben wie ein Gebet oder die Fürbitten – egal, ob sie katholisch sind oder nicht», erklärt er.
Vom Mikrowellen-Essen zum Menüwunsch
«Benimmregeln» war eins der Lieblingsfächer von Beatrice Nussbaumer. Einerseits wunderte sie sich, wie eine Klosterfrau das unterrichten konnte – «woher weiss sie, was draussen in der Welt bei Einladungen gefragt ist?». Andererseits genoss sie es, zu lernen, wie man schön dekoriert und den Tisch deckt. «Davon profitiere ich noch heute!» Auch für Maya Keller war Kreatives wie die «Handsgi» ein Lieblingsfach. Nicht nur wegen der «lässigen Kleider», die dort genäht wurden, sondern auch, weil «wir in Gruppen selbst den Stoff einkaufen konnten.»
Auch fürs Mittagessen durften die Schülerinnen und Schüler damals in die Stadt gehen. «Dadurch wurden wir schneller selbständig, wir waren offener, sahen etwas mehr als die Gschpändli, die nur im Quartier zur Schule gingen.» Das Essensangebot, das es in der Schule zu kaufen gab, sei allerdings nicht sehr gesund gewesen: Hamburger, Schinken-Käse-Toast oder Ähnliches, das in der Mikrowelle gewärmt wurde.

Beatrice Nussbaumer auf einem Klassenfoto aus dem Jahr 1964 (Fünfte von rechts, gleich unter der Treppe).
Beatrice Nussbaumer dagegen musste noch jeden Mittag den weiten Weg nach Hause unter die Füsse nehmen. Adrian bekommt hingegen «sehr feines Essen» aus der Küche des Johanneums, das zur Pfarrei Herz Jesu Wiedikon gehört. «Wir können sogar Wünsche abgeben, dann kochen sie das ein paar Tage später!» Für Primarschulkinder sei es obligatorisch, in der Mensa zu essen. Sekundarschülerinnen und -schüler können sich tageweise anmelden.
Vor hundert Jahren eröffnete die Katholische Mädchen-Sekundarschule die ersten Schulklassen im Schulhaus am Hirschengraben 66, dort wo heute die Büros der Katholischen Kirche im Kanton Zürich und des Generalvikariats untergebracht sind. Nebst einem grossen Festgottesdienst Mitte Mai zusammen mit Bischof Bonnemain in der Liebfrauenkirche und einem Podium in der Paulusakademie gab es in allen Schulhäusern Feste. Adrian erzählt begeistert vom Programm, das die Kinder mit vorbereitet haben. Besonders toll sei der Jubiläumssong gewesen, den seine Klasse mit der Rektorin Monika Wiesli gedichtet und komponiert habe: «Den haben dann alle Schulkinder zusammen mit unseren Lehrpersonen am Fest vorgesungen.»