Kolumne

Richtig leben, richtig arbeiten

In grauer Vorzeit wurden Beziehungen in der Familie, bei der Arbeit und am Stammtisch gepflegt. Was für ein trauriges Zeitalter war das!

Kein Minicomputer in der Hosen- oder Handtasche. Keine Möglichkeit, jederzeit von überallher zu telefonieren, mit Bildern mitteilen zu können, was man gerade auf dem Teller hat – wo man am Strand liegt – wie das Befinden des stressigen Babys ist und das eigene noch dazu.

Die bedauernswerten früheren Generationen, die in der Düsternis der sehr beschränkten Kommunikationsmöglichkeiten lebten, pflegten ihre Beziehungen ebenso oft mit Streitereien, wie es die heutige, immer-und-jederzeit-verbundene Generation tut. Einen Vorteil allerdings hatten unsere Vorfahren: Zwar vermiesten sie sich ihre Zeit mit Familie, am Arbeitsplatz und am Stammtisch, wenn sie stritten, bereicherten ihr Dasein aber, wenn sie die beschränkte Zeit für frohes Zusammensein nutzten. Wie viel Zeit hingegen verbringt das moderne Wesen pro Tag an seinem Smartphone? Ich meine, letzthin gelesen zu haben, dass Herr und Frau Schweizer im Durchschnitt 3 Stunden pro Tag dafür aufwenden. Die altmodischen Pflichten der Sorge für die Familie, des Einsatzes an der Arbeit – sie aber bleiben weiterhin unverändert.

Jetzt sind findige Köpfe auf folgende Idee gekommen: Lasst uns die Viertagewoche einführen. Der Stressfaktor Arbeit ist abgebaut, wir können täglich noch länger mit unseren Smartphones verweilen, allenfalls auch noch mehr herumreisen und immer noch ausgefallenere Sportarten treiben.

Die Weisheit «Ohne Fleiss, kein Preis» reimt zwar nicht ganz korrekt. Aber: Wären nicht Generationen vor uns sehr fleissig gewesen – es könnte heute niemand auf die Idee einer Viertagewoche kommen. Und wie steht es mit dem Beruf als Berufung, die dem Leben Sinn gibt? Warum geht es vor allem denjenigen Pensionierten gut, die weiterhin einer Arbeit nachgehen?

In einer Umfrage in unserer Familiengesellschaft mit gegen 600 Berufstätigen lässt sich die Antwort der Monteure grob folgendermassen zusammenfassen: Mehr Flexibilität darin, die eigene Arbeitszeit mitbestimmen zu können – das möchten sie. Aber der Kunde soll darunter auf keinen Fall leiden. Denn seine Zufriedenheit bestätigt die Monteure in ihrer Arbeit. Das Lob eines Kunden – und sie wissen, dass sie den Tag sinnvoll genutzt haben. Menschen, denen ihrer Hände Arbeit eben Freude macht.

Mein Appell: Baut die Zeit ab, die ihr sinnlos am Smartphone vertrödelt – nicht die Fünftagewoche!

Zum Autor

Hans Jörg Schibli (88) ist seit 63 Jahren verheiratet, Vater von vier Kindern und Grossvater von vier Enkeln.