Ulrike Wagner aus Saarbrücken zieht nach Zürich, wo sie eine Anstellung in einem grossen Unternehmen findet. Auf einem Firmenanlass lernt sie den fünf Jahre älteren Christoph Schmid kennen. Die beiden verlieben sich und wollen nach sechs Jahren Partnerschaft heiraten. Doch wie vorgehen? Ulrike weiss es – denn sie war in Deutschland schon einmal verheiratet gewesen. Die Ehe mit Jens ging damals aber in die Brüche und sie liessen sich scheiden. «Lass uns zum Pfarrer gehen, so haben es Jens und ich damals in Saarbrücken gemacht», meint Ulrike. Doch im Gespräch sagt der Pfarrer: «Da müssen Sie zuerst standesamtlich heiraten, bevor wir über eine kirchliche Heirat sprechen können.»
In der Schweiz ist es, anders als in Deutschland, verboten, vor der staatlichen Trauung kirchlich zu heiraten. Das hängt mit dem Verhältnis des staatlichen und des kirchlichen Rechts zusammen. Die beiden Rechte haben unterschiedliche Zwecke – das staatliche Recht weltliche, das kirchliche religiöse Zwecke. Den Schweizer Staat interessiert beispielsweise nicht, wie eine Hostie aufbewahrt werden soll – und das kirchliche Recht interessiert nicht, wie viele Etagen ein Haus in Zürich haben darf. Die Ehe dagegen ist allerdings sowohl für die staatliche wie auch die kirchliche Gemeinschaft wichtig. In beiden Rechtssystemen finden sich daher Ehe-Regelungen.
In solchen Bereichen geht das staatliche Recht dem kirchlichen Recht vor – weswegen Ulrike und Christoph zuerst auf dem Standesamt heiraten müssen, bevor sie in der Kirche heiraten dürfen. Das gilt nicht nur für Katholikinnen und Katholiken, sondern für alle Menschen – im Rechtsstaat «Schweiz» gelten Gesetze für alle gleich. Weil die römisch-katho-lische Kirche auf der ganzen Welt an-zutreffen ist, muss ihr Recht sowohl in einer Demokratie wie der Schweiz als auch in einer Diktatur wie Nicaragua anwendbar sein.
Zurück beim Pfarrer möchten die beiden nun die kirchliche Trauung planen. Aber es gibt ein Problem: Ulrike ist geschieden. Die Scheidung betrifft aber nur staatliches Recht – aus Sicht des kirchlichen Rechts ist Ulrike im Grunde immer noch mit Jens verheiratet. Und wie im Schweizerischen kann man auch nach kirchlichem Recht nur mit einer Person gleichzeitig verheiratet sein. Erst nachdem Ulrike und Jens neben der staatlichen Scheidung auch ein kirchenrechtliches Ehenichtigkeitsverfahren durchlaufen haben, kann Ulrike auch kirchlich erneut heiraten. Und so heiraten Ulrike und Christoph schliesslich – zuerst staatlich, dann kirchlich.