Nach einem kurzen Moment, in dem ich mein Ego etwas streichelte, freute ich mich auf die unzähligen Möglichkeiten, visualisierte die grosse Freiheit: Ohne feste Arbeitszeiten, ohne Stress am Morgen, ohne Jonglieren mit Ferien- und Freitagen, mit Überzeit und langen privaten To-do-Listen, die am Abend oder am Wochenende abgearbeitet würden – oder auch nur ein Eintrag auf der Liste blieben. Einfach mal alles etwas langsamer angehen wurde mein Mantra, nur auf mich hören, alte Hobbys wie das Klavierspielen pflegen, mehr rausgehen, mehr Yoga …
Mist – klingt schon wieder nach einer To-do-Liste, genau das, was ich unbedingt vermeiden wollte! Auch das Mehr an wirklicher «Me-Time» hat nicht immer geklappt. Sie wurde zu mehr Zeit mit meiner Mutter, mehr Zeit zum Kochen für die Familie, in Ruhe einkaufen, schon am Vormittag gemeinsam Znüni essen mit der jüngeren Tochter, gemeinsam mit der grossen Tochter Studienoptionen durchspielen, Bergwanderungen mit Freundin und Biketouren mit dem Mann. Das alles einfach in einer langsameren Gangart und einem lockeren Zeitplan, in dem ich flexibel war und mich nach den anderen richten konnte, weil keine Verpflichtungen der Erwerbsarbeit vorhanden waren. «Me-Time» wurde zu «We-Time» (oder heisst es eher «Us-Time»?!?), und das war auch gut so, überraschend gut.
Genauso überraschend: Mir hat die Arbeit nicht gefehlt, ich hatte nicht das Gefühl zu verdummen, da ich ja richtig viel Zeit zum Lesen und Leben hatte, Zeit, die Menschen zu treffen, die ich mag und die mir Anregung bieten. Ich war so wenig fremdbestimmt wie lange nicht in meinem Leben. Okay, ich habe bereits grosse Kinder, die erst am Abend auf ein leckeres Essen warteten. Früher war die Arbeit auch eine kleine Flucht: Dort konnte ich selbst bestimmen, wann und was zum Mittag gegessen wird, konnte allein auf die Toilette …
Ich habe mein ganzes Erwerbs- und Familienleben hindurch immer «pro Arbeit» für Frauen argumentiert, aufgrund der höheren Bestätigung, der guten Ausbildung, die ja genutzt werden will, als Vorbild für die Kinder und auch der finanziellen Unabhängigkeit wegen, falls mit der besseren Hälfte mal etwas wäre …
Ich konnte mich dort richtig heissreden, wenn Freundinnen sich länger auf die Mutter-Rolle konzentrierten trotz voll abgeschlossenem Studium, und warnte eindringlich vor den Folgen. Ist ja wahrscheinlich alles nicht verkehrt.
Aber nun muss ich zugeben: Ein Leben ohne Arbeit war wirklich toll, ein Geschenk. Interessanterweise stopft die Arbeit kein Loch in meinem Leben und in meiner Persönlichkeit, wie ich immer überzeugt gewesen war. Ich war auch so genug.
Zur Autorin
Kerstin Lenz ist stellvertretende Informations-beauftragte in der Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich und Mutter von zwei Teenager-Töchtern.