Was ist das A und O -einer gut erzählten Geschichte?
Moni Egger: Das Allerwichtigste ist, die Geschichte so zu erzählen, als würde ich sie selbst erleben. Ebenso wichtig ist es, den Erzählfluss nicht zu unterbrechen. So kommen die Zuhörenden und ich ganz in die Geschichte hinein.
Kann man so auch eine Geschichte aus einem Buch erzählen?
Beim Buch handelt es sich um ein Vorlesen, nicht um ein Erzählen. Das Buch steht zwischen den Zuhörenden und mir, das ist eine weniger intensive Situation. Aber auch da gilt: Je mehr ich als Erzählerin in der Geschichte drin bin, desto besser.
Es gibt Geschichten, die viel Gewalt enthalten. Tauchen Sie als Erzählerin auch da ganz ins Geschehen ein?
Viele Märchen, Legenden und Bibeltexte enthalten Gewalt. Diese muss nicht ausgeklammert werden, da sie leider zum Menschsein dazugehört. Aber wenn es brutal wird, gehe ich etwas aus dem Geschehen raus.
Wie kommt es, dass Kinder auch schwierigen Inhalten gerne zuhören?
Das Schöne beim freien Erzählen ist, dass sich gesunde Kinder nur jene Bilder machen, die ihnen guttun. Insofern macht gesunden Kindern Gewalt in Geschichten nichts aus. Handelt es sich um traumatisierte Kinder, bringe ich Distanz hinein. Und wichtig ist es bei Kindern, dass die Geschichte ein Happy End hat.
Gibt es Unterschiede im Erzählen von Texten aus Märchen, aus Legenden und aus der Bibel?
Märchen sind am einfachsten, da sie bereits so verfasst sind, dass sie sich erzählen lassen. Bei den Legenden ist es etwas schwieriger, da sie manchmal von einer Frömmigkeit durchzogen sind, die wir heute kaum noch verstehen. Am schwierigsten sind die Texte aus der Bibel. Das sind eigentlich keine Geschichten.
Die Bibel enthält keine Geschichten?
Ich nenne es «Geschichten-Knochen», die aufeinanderliegen. Es ist in der Bibel oft nicht klar, wo eine Geschichte beginnt und wo sie endet. Um eine biblische Geschichte zu erzählen, braucht es eine gute Vorbereitung. Dafür ist eine solche Geschichte dann viel persönlicher als ein Märchen. Ich bin überzeugt, dass im Moment des Erzählens etwas vom Offenbarungsgeschehen passiert.
Wie wichtig ist das Umfeld, in welchem Sie erzählen?
Die Situation sollte klar gestaltet sein. Ich vermeide Ablenkung – beispielsweise durch Schriftzüge auf meiner Kleidung oder ein Fenster im Blickfeld, das die Aufmerksamkeit raubt. Wichtig ist eine gute Akustik. So bildet sich ein Raum, der offen ist für Stille.
Welche Rolle spielen Gegenstände?
Es gibt viele Formen des Erzählens. Beispielsweise mit Handpuppen, Bildern oder dem «Godly Play». Meines Erachtens ist das Setting zweitrangig. Wichtig ist bei allen Formen vielmehr, dass die Erzählerin innerlich beteiligt ist. Und dass sie die Geschichte so erzählt, wie es ihr wohl ist.
Gibt es auch etwas, das es zu vermeiden gilt?
Meine Erfahrung ist, dass es nicht gut kommt, wenn die Stimme künstlich verstellt wird. Viel besser ist es, natürlich zu sprechen.
Moni Egger
ist Bibelwissenschaftlerin
und Märchen- und Bibelerzählerin (auf Schweizerdeutsch). Mehr zu ihrer Person und zu ihrem Wirken unter matmoni.ch und bibelerz.ch
Selbst erzählen lernen?
«Bibel erzählt! Kindern und Jugendlichen die Bibel frei erzählen»
Samstag, 11. Januar 2025,
9.00 bis 18.00 Uhr
Theologisch-pastorales Bildungsinstitut TBI