Gott im Spiel erleben

Was will uns der Advent erzählen? Beatrix Ledergerber erlebt einen Morgen lang biblische Geschichte im «Godly Play» – und kommt dabei dem Geheimnis von Weihnachten näher.

Elisabeth Schüsslbauer spricht ruhig und leise, mit einer Intensität, die mich sofort in den Bann zieht. «Seid ihr bereit und bequem? Dann beginnen wir.» Feierlich greift sie hinter sich und rollt ein Stoffband aus, ein erstes Stück davon. «Schaut auf die Farbe. Violett, Lila? Oder auch Purpur. Purpur ist eine wichtige Farbe. Die Farbe der Könige.» Mit kurzen, einfachen, aber eindringlichen Sätzen fährt sie fort: «Früher haben die Leute auf einen König gewartet. Sie dachten, der König kommt mit viel Reichtum und Macht. Aber der König, der dann kam, der kam als kleines Baby.» Es ist ganz still, die Pause ist erfüllt von Erwartung. Wie geht es weiter? «Dass der König als Baby kommt, das ist ein Geheimnis. Geheimnisse sind nicht leicht verständlich. Weihnachten ist auch ein Geheimnis.»

Ich war an diesem Morgen ziemlich hektisch im Relimedia, der ökumenischen Mediathek, angekommen. Ich war zu spät, die anderen hatten auf mich warten müssen. Mein Puls ist immer noch hoch, ich atme schnell. Und nun, während Relimedia-Leiterin Elisabeth Schüsslbauer erzählt, werde ich ruhig und entspannt. Ich fühle mich in einer Oase, gleite in eine andere Welt.

Auch vor Weihnachten herrsche oft Hektik, knüpft Elisabeth Schüsslbauer an. «Darum gibt es den Advent. Vier Wochen, um uns auf das -Geheimnis vorzubereiten. Denn es ist so gross, dass wir dafür Zeit brauchen.» Sie wird wieder leise. «Wir machen uns jetzt auf eine Reise nach Bethlehem.»

Bethlehem steht schon da, in der Mitte, aus Holz und dreidimensional. «Die ersten, die auf das Geheimnis hingewiesen haben, waren die Propheten.» Elisabeth Schüsslbauer legt eine Karte mit dem weisenden Finger der Propheten und einem symbolischen Adventskranz auf das violette Band: die Propheten. Sie zündet die erste, violette Kerze an. Langsam. Sorgsam.

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Eine «Reise» nach -Bethlehem, die alle -Sinne anspricht. (Foto: Manuela Matt)1 | 2
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Eine «Reise» nach -Bethlehem, die alle -Sinne anspricht. (Foto: Manuela Matt)2 | 2

Stück um Stück rollt die Erzählerin das Purpurband aus. Sie stellt holzgeschnitzte Figuren von der schwangeren Maria, von Josef und dem Esel darauf, auf dem Weg nach Bethlehem. Auf dem nächsten Abteil des Stoffbandes kommen Hirten dazu. Dann die Könige: «Weise, ja fast Zauberer, in ihrer Sprache ‹Magi›, daher Magier genannt.» Spannung ist spürbar. Das letzte Stück Stoff: überraschend, es ist weiss. Das Geheimnis ist da! Der Ochse schaut erstaunt in seine Futterkrippe, wo plötzlich ein Kind drin liegt. Eine grosse weisse Kerze beginnt zu leuchten.

Die Methode, mit der Elisabeth Schüsslbauer arbeitet, heisst «Godly Play», was frei übersetzt heisst: «Gott im Spiel erleben». Es ist in den USA entstanden, um die biblischen Geschichten und die Feste im Kirchenjahr erlebbar zu machen. «Eine Art Montessori-basierte Katechese», erläutert Elisabeth Schüsslbauer. Die Idee: Stille während der Geschichte, damit alle innerlich dabei sein können. Die Erzählperson steht im Hintergrund. Anschliessend gibt es Zeit, um sich auszutauschen. Diese Gespräche seien oft «umwerfend»: Ganz neue Gesichtspunkte kommen ins Spiel, «kleine Knirpse können theologische Gedankenspiele mit ihrem Gespür für das Wesentliche in den Schatten stellen». Besonders gefreut hat sich Schüsslbauer über ein Foto, das ihr eine Mutter nach einem Kindergottesdienst mit der «Godly Play»-Adventsgeschichte geschickt hat: Ihre Tochter habe zuhause Kerzen und Legofiguren gesucht und den Geschwistern die ganze Geschichte nacherzählt.

Die «Godly Play»-Geschichten sind ursprünglich als Grundlage für (Kinder-)Gottesdienste entwickelt worden. «Nach der Gesprächsrunde kommt eine Kreativphase, in der die Kinder sich im freien Spiel oder mit Kreativmaterialien mit der Geschichte auseinandersetzen. Dann wird gemeinsam gefeiert, etwas gegessen und getrunken. Danach gibt es einen rituellen Abschluss.» Doch «Godly Play» eigne sich ebenso gut für Unterrichtsstunden, für Familien, Pfarreigruppen, Altersheime, Spitäler, in der Heimpädagogik. Relimedia bietet über 70 «Godly Play»-Köfferchen an, mit Figuren und Legematerial zu biblischen Geschichten oder liturgischen Festen. In jedem Koffer, der ausgeliehen werden kann, ist auch die Geschichte aufgeschrieben, inklusive Handlungsanleitungen. «‹Godly Play› ermöglicht, dass Menschen im Dialog mit der Geschichte und den Figuren ihre ganz eigene Spiritualität entdecken und ins Spiel bringen, ihren ganz eigenen Glauben ausdrücken», schwärmt Elisabeth Schüsslbauer.

In der Zwischenzeit ist sie eine von drei «Godly Play»-Fortbilderinnen in der Schweiz und führt Katechetinnen und Interessierte in die Methode ein. Als sie im Jahr 2016 ihre Arbeit bei Relimedia begann, gab es zwar bereits -«Godly Play»-Figuren. «Doch niemand kannte das Konzept dahinter.» An einem Kongress für Kinder-Katechese lernte sie das Konzept vertieft kennen: «Es hat mich zutiefst gepackt und wahnsinnig beeindruckt.» Sie erlebte: nicht nur die Zuhörenden, auch die Erzählerin kommt in eine tiefe innere Ruhe. «Wenn ich zuhause mal etwas aufgeregt bin, sagt mein Sohn: Mama, mach mal wieder ein ‹Godly Play›, dann kommst du wieder runter», lacht sie.

Das Weihnachtsgeheimnis liegt vor uns, ein Jesuskind in Olivenholz, auf der weissen Stoffbahn. «Und nun löschen wir die Kerzen nicht einfach wieder aus. Nein, das Licht geht nicht weg, es wird verwandelt», höre ich die Erzählstimme. Behutsam nimmt sie ein silbriges Löschhütchen zur Hand und legt es über die Flamme. « Achtet darauf, was passiert, wenn ich das Hütchen hebe!» Fasziniert schauen wir zu. Weisser Rauch kringelt unter dem Hütchen hervor und verteilt sich im Raum. «Das Licht ist nun überall. Es geht nicht aus, es bleibt um uns und in uns. Das ist das Geheimnis von Weihnachten.»

Bild: Die Methode, mit der die Religionspädagogin Elisabeth Schüsslbauer arbeitet, verbindet Erzählung, Spiel und Spiritualität. (Foto: Manuela Matt)