Die Sonne weckt an diesem Novembertag die graumüde Stadt aus ihrem Sonntagsschlaf und schafft die perfekte Kulisse für einen unvergesslichen Tag für die Firmandinnen und Firmanden. Um neun Uhr fährt Luis Varandas mit dem Auto am Hirschengraben 66 los. Dort befindet sich das Generalvikariat der Bistumsregion Zürich-Glarus, dessen Chef er ist. Er trägt Hemd, Anzug und Priesterkragen – den trägt er seit seiner Priesterweihe immer. «Priester ist kein Beruf», sagt der kräftig gebaute Mann, «sondern eine Berufung, und die macht keine Ferien.» Neulich auf einem Kurztrip in Neapel wollte ein amerikanisches Paar sich von ihm segnen lassen. Keine Frage für Luis Varandas.
Der Generalvikar ist unterwegs nach Küsnacht. 40 Firmungen im Jahr feiert Luis Varandas im Auftrag des Bischofs von Chur, mit dem Varandas die Wohnung teilt, wenn Joseph Maria Bonnemain in Zürich ist. Luis Varandas ist zeitig in Küsnacht, um sich einzustimmen. Bis 10.30 Uhr füllt sich die Kirche St. Georg. Kinderreiche Familien in geschmackvollen Sonntagskleidern sitzen in vollen Kirchenbänken. Für Luis Varandas ein durchaus gewohnter Anblick. Der Generalvikar hält dann Messe, wenn es etwas zu feiern gibt: Firmungen, Patrozinien, Jubiläen.
Die volle Kirche kennt er auch aus seiner Jugendzeit bei der portugiesischen Mission in der Kirche St. Felix und Regula am Zürcher Hardplatz. Dort wurde er als engagierter Jugendlicher bald zur rechten Hand des Missionars und organisierte den Religionsunterricht. Das war nicht lange, nachdem der Dreizehnjährige mit seinen zwei jüngeren Brüdern aus Villa Real im Norden Portugals den Eltern in die Schweiz gefolgt war. Vater und Mutter arbeiteten hier seit Anfang der 1980er Jahre als Saisonniers. Die portugiesische Mission hat Luis das Ankommen in der Fremde erleichtert. Aber von Anfang an hat er auch Religionsunterricht und Gottesdienste in seiner Ortspfarrei in Leimbach besucht, wo er mit seiner Familie lebte.
Zum Einzug singt der Chor vielstimmig ein Stück aus «König der Löwen». Luis Varandas begrüsst die Jugendlichen und ihre Familien zum Firmgottesdienst und richtet Grüsse vom Bischof aus. Vor zwei Wochen hat er die Jugendlichen zu einem Firmgespräch getroffen. Wie viel ein Generalvikar verdiene, wollte ein Jugendlicher wissen. Das könne er herausfinden mit einer Internetrecherche, die Informationen seien öffentlich zugänglich, antwortet Luis Varandas. Es ist ein Jahreslohn von rund 200 000 Franken. Ein anderer möchte wissen, was ein Generalvikar sonst noch so macht, ausser firmen.
Kein Karrierist
In der Funktion als Generalvikar arbeitet Luis Varandas mit dem Synodalrat zusammen, der Exekutive der Körperschaft der katholischen Kirche im Kanton Zürich. Dazu kommen Vernetzungsanlässe mit Politikerinnen und Politikern. Einmal im Monat in Chur trifft sich der elfköpfige Bischofsrat, in dem auch die Generalvikare sitzen. Ebenfalls monatlich trifft sich der Rat des Generalvikariats. Martin Conrad ist Mitglied dieses Rates und zuständig für die ökumenischen Seelsorgestellen. Er schätzt seinen Vorgesetzten. «Es geht Luis Varandas zuerst um die Menschen und nicht um die Strukturen.» Luis Varandas verstehe seine Arbeit als Dienst an der Kirche, sagt Martin Conrad und ist froh, dass sein Chef kein Karrierist ist, sondern ein gut informierter, dossierfester Mann der Kirche mit grosser pastoraler Erfahrung. Dass er Migrationshintergrund habe, gereiche dem Generalvikar zum Vorteil: in der katholischen Kirche Schweiz habe ein Drittel der Mitglieder Migrationshintergrund.
Das grösste Aufgabenfeld des Generalvikars betrifft die Verantwortung für das Personal in der Bistumsregion Zürich und Glarus. Dazu stehen ihm fünf Dekane zur Seite, die wiederum für 20 bis 25 Pfarreien zuständig sind. Personelle Entscheidungen würden er und sein Team im Generalvikariat aber mit den Kirchgemeinden zusammen fällen. «Wer hätte etwas von einem Pfarrer, der in seiner Gemeinde keinen Rückhalt geniesst?», sagt Luis Varandas.
Vom Elektromechaniker zum Priester
Luis Varandas machte zunächst eine Lehre als Elektromechaniker bei der ABB, wo er anschlies-send arbeitete und sich weiterbildete. Die Idee, Priester zu werden, kam zuerst aus seinem persönlichen Umfeld. Mit der Zeit wurde sie zu seiner eigenen. 2003 zog Luis Varandas im Priesterseminar St. Luzi in Chur ein. Sieben Jahre später weihte ihn der damalige Bischof Vitus Huonder zum Priester. Thomas Widmer, Priester in Oerlikon und damals ebenfalls Priesteramtskandidat, erinnert sich an Luis Varandas, der auch damals mit seinem Organisationstalent aufgefallen ist. Er kennt ihn als geselligen Menschen. Als einen, der gut zuhört und nach einvernehmlichen Lösungen sucht. «Er ist im positiven Sinn ein pragmatischer, geistlicher Mensch», sagt Thomas Widmer.
Seine erste Stelle als Vikar in Wädenswil war eine glückliche Erfahrung. Aber schon 2011 wurde er als Vize-Regens ins Priesterseminar nach Chur zurückgerufen. Zusammen mit Weihbischof Marian Eleganti kümmerte er sich um den Priesternachwuchs und die Studierenden des Bistums. Die heute scharf geforderten Eignungsprüfungen seien auch damals ein Thema gewesen. Längst hätten sie nicht alle Kandidaten zur Weihe vorgeschlagen. Als Bischof Huonder an ihren Empfehlungen vorbei Priester weihte, quittierten die Co-Leiter nacheinander ihren Dienst, so auch Luis Varandas.
Voll und ganz hinter dem Bischof
Ab 2015 arbeitete Luis Varandas als Pfarrer im Seelsorgeraum Dübendorf – Fällanden – Schwerzenbach. 2017 wählte ihn die Synode in den Synodalrat, dort übernahm er im ersten Jahr das Ressort Ökumenische Seelsorge und ab 2018 die Verantwortung für die Migranten-Seelsorge. Als im April 2021 der neu ernannte Bischof Joseph Maria Bonnemain Luis Varandas zum Generalvikar ernannte, nahm er auch diese Aufgabe an. Nicht zuletzt, weil er sich mit dem Bischof gut verstand. Auch heute sagt er: «Ich kann voll und ganz hinter dem stehen, was der Bischof macht.»
Für die Predigt nimmt Luis Varandas das Mikrofon in die Hand und wendet sich den Firmandinnen und Firmanden im Chorraum zu. Es gibt wenig Platz, aber das stört ihn nicht. Mittendrin sei ihm wohl, die Nähe zu den Menschen wichtig, sagt Luis Varandas im Pfarrhaus beim Kaffee. Seine Predigt spricht er frei, ermutigende Worte für junge Menschen an der Schwelle zum Erwachsensein.
Der Firmgottesdienst ist vorbei, das Gruppenfoto im Kasten, mit dem Generalvikar in rot wehendem Messgewand in der Mitte. Luis Varandas gesellt sich unter die Feiernden, trinkt ein Gläsli Weisswein, unterhält sich hier und da, unterschreibt einem Erstkommunikanten eine Gottesdienstbestätigung und freut sich, mitten unter den Menschen zu sein.