Kolumne

Weisheit aus der Südkugel

«Dinge ändern sich: Dinge vergehen. Die der Küste zugewandten Felsen, das Riff, das die Bucht beschützt, wird aufgebrochen und weggehämmert.»

Das schreibt die Maori-Schriftstellerin Keri Hulme in einem Text über den Moeraki-Strand in Neuseeland. Ihre Worte kamen mir in den Sinn, als ich zusammen mit meinem Mann vor kurzem an diesem Strand stand, vom Wind zerzaust, und über grosse, kreisrunde Steinbrocken staunte, die hier liegen.

Nach der Maori-Legende sind es zu Stein gewordene Kalebassen, ausgehöhlte Kürbisse, die aus einem gekenterten Kanu des grossen Vorfahren Āraiteuru hierher gespült wurden. Die Wissenschaft sagt, es seien septarische Konkretionen um einen Kern von gelben Kalzitkristallen. Für uns sehen sie aus wie übergrosse Fussbälle oder Riesenschildkröten.

Wie viele aus der indigenen Bevölkerung Neuseelands hat Keri Hulme auch europäische Wurzeln. Ihre wahre Heimat jedoch ist dieser Strand. Hier «ist der Standort meines Herzens, und ich erwarte und bekomme Kraft und Energie und Liebe von ihm», schreibt sie.

Doch dieser ihr Kraftort sieht immer wieder anders aus. Wind, Regen und Wellen verändern laufend die Küstenlinie, zerstören auch mal die kleinen Häuschen der hier lebenden Menschen. Ihr Onkel möchte die Felsen mit Beton übergiessen, um sie zu bewahren. Doch Hulme will das nicht: «Ich glaube an den Tanz des Wandels», schreibt sie. Sie ist tief verwurzelt in ihrer Kultur und dem Ort ihrer Kindheit, doch sie verbindet ihre Wurzeln nicht mit dem Bild des Ortes ihrer Kindheit, sondern mit dem «Tanz des Wandels» allen Lebens.

Zurück wieder auf der mir bekannteren Seite der Erdkugel nehme ich den «Tanz des Wandels» mit ins Weihnachtsfest, wo die Geburt des Jesuskindes immer wieder Wandel verspricht, und mit ins neue Jahr, mit allem, was es an lebendig Anderem bringen wird.