Wer einen mutigen neuen Look präsentiert, muss mit einem «Gewöhnungsbedürftig!» rechnen und eventuell dem Beginn einer Beziehungskrise. Wer dagegen unbeirrt auf den Afrolook der 1970er-Jahre schwört, ist unter Umständen mit einer Beziehungskrise noch gut bedient.
Der Fortschrittsoptimismus jubelt: «Die Jugend ist unsere Zukunft!» – Der Kulturpessimismus hadert: «Die Jugend bringt uns noch ins Grab!»
Beide Bekenntnisse zelebrieren seit Menschengedenken eine innige On-off-Beziehung. Mit Schwung kann man vom Saulus zum Paulus mutieren. Und mit einem kraftvollen Gegenschwung vom Paulus zum Saulus. Es ist ein fröhliches Surfen zwischen den Glaubensrichtungen.
Alte Gewohnheiten sind Tradition, neue bedenklicher Zeitgeist. Ein neuer Furz ist innovativ, der alte Geistesblitz angestaubt. Wehe, jemand verabschiedet sich aus dem FamilyChat. Genauso wehe, es wird am Mittagstisch auf dem Handy rumgetöggelet.
Als ich noch jung war – verheissungsvoller Einstieg in kulturpessimistisches Gejammer – haben sich die Menschen im Zug noch unterhalten. Heute glotzen alle asozial in ihr Smartphone.
Ist nicht ganz falsch. Aber auch nicht ganz richtig, denn in meiner Jugend war das mit mir nämlich so: Ich hatte immer ein Buch dabei. Hab auf dem Perron gelesen, bin lesend in den Zug gestolpert, hab mich die ganze Fahrt hindurch in mein Buch vergraben. Nichts hat mich gekümmert, ausser «Herr der Ringe» oder was sonst grad zur Hand war. Hauptsache kein Blickkontakt.
Zwei Jahre lang habe ich mit meiner Gleitsichtbrille gehadert. Als ich sie endlich konsequent aufgesetzt habe, war sie bereits amortisiert. Und jetzt? Kann ich ohne sie kein asozialer Pendler mehr sein.
Glücklich, wer seine Jesuslatschen so lange tragen kann, bis sie wieder in der Vogue sind.