Die Armut sei gross gewesen, die Menschen aber glücklich, so hörte ich es öfters von Bekannten, wenn sie von Auslandsreisen zurückgekehrt waren. Teilweise kam mir diese Aussage als Selbstberuhigung vor, um so Irritationen über offenkundige Ungleichheiten emotional wegzustecken. In anderen Fällen hörte ich eher eine selbstkritische Anfrage an hiesige Lebenszustände heraus: Was läuft falsch, wenn Wohlstand nicht zufrieden macht? Wenn ich die Aussage meiner Bekannten weiterdenke: Müsste Armut sogar der Weg zum Glück sein? Sagt nicht auch die Bergpredigt, die Armen seien selig?
Armut ist für mich kirchlich ein heikles Thema. Zu oft wurde Armut gepredigt, aber selber ganz anders gelebt. Zu oft wurden Menschen unsensibel als «arm» eingestuft und klein gehalten – oder mussten herhalten, damit sich andere durch Wohltaten ihnen gegenüber gut fühlen konnten. Und zu oft diente die Formel «Armut im Geist» als Vorwand, um reale Not und strukturelle Missstände, die Ungleichheiten zementieren, nicht ernst genug zu nehmen. Als christliche Theologin sind mir die biblischen Texte als Spiegel aufs Menschsein wichtig: Lässt sich von ihnen her eine Haltung entwickeln, die weder Armut noch Reichtum verklärt?
Durch die gesamte Bibel zieht sich die Idee, dass rechtschaffenen Menschen ein segensvolles Leben vergönnt ist. Segen beinhaltet Freude, Entfaltungsmöglichkeit und die materielle Grundlage dazu. Weder Armut noch Reichtum sind an sich anzustrebende Ziele, sondern Folgen: Armut resultiert aus Missständen, die zu beheben wären, Reichtum wäre, wie angedeutet, idealerweise die Folge eines guten Lebenswandels. Auf dieser Basis rückt eine neue Frage ins Zentrum: An welchen Punkten fördern oder hemmen wir die eine oder andere Folge?
Mein Fazit: Armut ist nicht der Weg zum Glück. Auch die Bergpredigt preist sie nicht als Rezept an. Ihre Worte sind eine Zusage, dass Gott existierende Not wahrnimmt.