Kolumne

«Er inspiriert Menschen, sich selbst anzunehmen.»

Der Benediktiner Anselm Grün feiert seinen 80. Geburtstag. Eine Würdigung.

Porträt von Anselm Grün

Anselm Grün, geboren 1945, ist Mönch der Benediktinerabtei Münsterschwarzach. Seine Bücher zu Spiritualität und Lebenskunst sind weltweite Bestseller.

Die Zustimmung zur katholischen Kirche schwindet, die Autorität der Amtsträger bröckelt. Wie erklärt sich da die ungebrochene Popularität dieses freundlichen Benediktinerpaters, dessen Bücher millionenfach verkauft und in über 30 Sprachen übersetzt wurden?

Grün geht angstfrei mit kirchlichen «Autoritäten» um, etwa wenn es um die Stellung von Frauen oder den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen geht. In seinen Büchern ist er kein christlicher Besserwisser, der Antworten auf Fragen gibt, die keiner mehr stellt. Und er erzählt auch von seiner eigenen, nie abgeschlossenen Gottsuche.

Man kann Grün einen «Übersetzer» nennen: Brückenbauer zwischen Bibel, Psychologie und Theologie, zwischen monastischer Spiritualität und den Sehnsüchten, die er bei heutigen Menschen wahrnimmt.

Für viele verkörpert er mit Bart und Habit den Archteyp des Mönchs, der ein Leben der Gottsuche führt, in Stille, Mass, Verzicht – auch auf Macht. Und dennoch spricht er davon, dass wir zum Glück geboren sind, dass nicht nur Verzicht, sondern auch Geniessen zum guten Leben gehören, dass Leiden ganz sicher nicht das Ziel christlichen Lebens ist.

Eine weitere Sehnsucht spricht Grün an: Jene nach einem lebenserfahrenen, gelassenen Weisen, der in unübersichtlicher Zeit Zuversicht vermittelt. Wir sollten einen Blick haben für das Gute und Schöne, ist immer wieder seine Botschaft. Und im Blick auf das Böse unser Vertrauen bewahren, dass es nicht die letzte Macht hat.

Als Cellerar hat Grün über Jahrzehnte hinweg erfolgreich die wirtschaftliche Verantwortung für sein grosses Kloster gehabt. Er kann gut mit Geld umgehen, obwohl (oder weil) er auf persönlichen Besitz und Konsum verzichtet. Er ist spirituell, hat aber auch Sinn für die Realitäten des Lebens.

Seine Bücher sind deshalb alles andere als Ratgeberliteratur, schon gar keine Moral­katechismen. Sie beschäftigen sich mit drängenden Themen wie Arbeitsstress, Einsamkeit, Abschied, Trauer, Lebensumbrüchen. Wenn eine Lösung weit entfernt scheint, dann versucht Grün, auf hilfreiche Perspektiven aufmerksam zu machen, den Blick zu weiten. Seine Texte nehmen den Einzelnen ernst, nehmen ihn aber auch in die Verantwortung. Er inspiriert Menschen dazu, sich selbst wahrzunehmen, sich anzunehmen, auch in ihren Verletzungen – und so zum Segen zu werden – auch für andere.

Offenheit für Vielfalt auch in anderen Religionen und darin für das gemeinsame «Herz der Spiritualität» gehört ebenfalls zu seinen zentralen Anliegen. Mit Muslimen und Buddhisten hat er Bücher geschrieben. Und bleibt dabei gleichzeitig in der eigenen Tradition verwurzelt.

Benedikt von Nursia hat im weiten Herz das Ziel jeder Spiritualität gesehen. Darin folgt ihm sein Mitbruder Grün unbeirrt. Freiheit, Milde, Weite sind auch seine religiösen Werte. Auf seinem Grabstein wünscht er sich die Inschrift: «Er hatte ein weites Herz.» Das ist es! Und möge es lange bleiben. Am 14. Januar wurde Anselm Grün 80 Jahre alt. Und hat passend dazu ein Buch geschrieben: «Alles in allem – was letztlich zählt im Leben».

Rudolf Walter ist Langjähriger Cheflektor des Herder-Verlags, Herausgeber der Monatszeitschrift «einfach leben» von Anselm Grün, hat mit ihm zusammen den Gesprächsband «Alles in allem – was letztlich zählt im Leben» publiziert.