Glauben heute

Ostern bedeutet, durch die Nacht zu gehen

Um Mitternacht macht sich eine Gruppe junger Leute auf und geht in die Nacht hinaus. Es ist dunkel und kalt. Am Anfang unterhalten sich alle aufgeregt und lebendig. Nach und nach werden die Worte ruhiger und spärlicher. Die Nacht entfaltet ihre Wirkung. Es ist nicht irgendeine Nacht. Es ist «die» Nacht.

«Du lässt mich den Weg des Lebens erkennen.» – Hin und wieder bleibt die Gruppe stehen. In die Dunkelheit hinein klingen jahrtausendealte Erinnerungen von Menschen, die erfahren haben, wie Gott sie aus Chaos und Hoffnungslosigkeit heraus befreit hat. Irgendwo in der Nähe rauscht ein Bach. Eine Laterne flackert. Jacken rascheln. Die Gruppe geht weiter. Schweigend. Betend. Singend. Durch das Dunkel hindurch. Es ist die Osternacht.

«Ich gebe euch ein neues Herz und einen neuen Geist.» – Stunden vergehen. Müdigkeit schleicht sich ein. Doch alle gehen entschieden weiter. Das Wasser der Tauferneuerung erfrischt. Am Horizont deuten sich die Vorboten der Dämmerung an. Versammelt um den Tisch, im Licht der aufgehenden Sonne, teilen alle Brot und Wein miteinander.

In meiner Zeit als Hochschulseelsorger habe ich jedes Jahr eine solche Osternachtswanderung mitorganisiert. Nach wie vor ist das für mich die eindrücklichste Form, Ostern zu feiern. Im Kontakt mit den kontrastreichen, elementaren Erfahrungen von Ausgesetztsein, Müdigkeit, Stille, Gebet, Feuer, Wasser, Gemeinschaft werden die Lesungen aus der Bibel lebendig. Mir dämmert etwas von Ostern, das mir bei Tageslicht nicht einleuchtet. Dazu braucht es die dunkle Nacht und das lautlose Morgengrauen. In seinem hoffnungsgetränkten Licht haben wir jeweils das Lied gesungen mit dem Refrain: «Und ein neuer Morgen bricht auf dieser Erde an, in einem neuen Tag, blühe in mir. Halte mich geborgen fest in Deiner starken Hand und segne mich, segne mich und Deine Erde.»