Der Papst ist tot. Kurz nach Beginn seines dreizehnten Pontifikatsjahres ist Papst Franziskus am Ostermontag, dem 21. April 2025 verstorben. Wochenlang war er mit Lungenentzündung im Spital gewesen, nach seinem Austritt war ihm die Krankheit ins Gesicht geschrieben. Trotz seiner Rückkehr, auch in die Öffentlichkeit, war klar: Es konnte jederzeit «soweit» sein.
13. März 2013: Noch nie hatte sich ein Papst «Franziskus» genannt. Noch nie war es ein Lateinamerikaner. Noch nie zuvor war ein Jesuit zum Bischof von Rom gewählt worden. Alles eine Premiere. Ein Argentinier mit italienischem Migrationshintergrund, der sehr direkt auf Menschen zuging, buchstäblich mit der Tür ins Haus fallen konnte, mit Blitzbesuchen oder Handyanrufen, geradezu inflationär von Zärtlichkeit und Barmherzigkeit sprach und mit eingängigen, oft etwas schrägen, hierzulande missverständlichen Bildern und Vergleichen («Karnickel-Gate», «Klaps-Debatte») aufhorchen liess. Franziskus wurde zur riesigen Projektionsfläche. Kein Wunder, dass später von einem «Papst der Enttäuschungen» (Michael Meier) die Rede war.
Noch nie hatte sich ein Papst «Franziskus» genannt. Noch nie war es ein Lateinamerikaner. Noch nie war ein Jesuit zum Bischof von Rom gewählt worden.
Der Papst «vom anderen Ende der Welt» liess auch aufatmen. Viele fühlten sich an Johannes XXIII. (1958-1963) erinnert. Im 77. Lebensjahr ins höchste Amt der Kirche gewählt, rechnete Franziskus selber mit einem kurzen Pontifikat. Nun sind es mehr als zwölf Jahre geworden. Ich sage: Dieser Papst hat die Kirche verändert – nachhaltiger, als manche bereit sind zu sehen und anzuerkennen. Die Metaphern von den «offenen Türen» und von der «Kirche als Feldlazarett» werden ihn überdauern. Sein Vermächtnis lauetet: Synodalität. Der Geist ist aus der Flasche und er kehrt nie mehr dorthin zurück. Und wenn doch? Dann macht sich die Kirchenführung lächerlich und verliert jegliche Glaubwürdigkeit.
Franziskus brach klerikale Trotzburgen auf, prangerte permanent Mauschelei und klerikalen Karrierismus an. Seine Weihnachtsansprache an die Kurie im Dezember 2014 ging als «Kopfwäsche» in die Geschichte ein. «Geistlicher Alzheimer», eine von fünfzehn erwähnten «Krankheiten» attestierte er den Klerikern: Das blieb hängen. Dienen statt kommandieren war sein Motto. Es hiess oft: Dieser Papst fremdelt mit dem Amt, vernachlässigt Strukturen und verachtet den Apparat. Entschied er schnell, kompromisslos oder hart, hiess es: Wo bleibt die Barmherzigkeit? Franziskus konnte sich für Fehleinschätzungen auch entschuldigen. Er nahm Entgleisungen zurück, räumte ein, dass er zu schnell reagiert hatte oder falsch informiert war. Wer ihm vorwarf, er sei «beratungsresistent», konnte erleben, dass er eine komplette Bischofskonferenz in den Vatikan zitierte, einen Bischof zum Rücktritt zwang oder einen Kardinal in den Laienstand versetzte. Der Kinderschutzgipfel im Vatikan im Februar 2019 führte schon drei Monate später zu Verschärfungen im Kirchenrecht.
Skandale (Missbrauch, Finanzen, verunglückte Personalien) blieben auch zwischen 2013 und 2025 nicht aus. Franziskus setzte weniger auf Machtworte (an denen es nicht fehlte), als auf Überzeugungsarbeit. «Synodalität» wurde zum Zauberwort, da und dort missverstanden als Passepartout, verdächtigt als Methode zur «Demokratisierung» der Kirche. Dabei liess Franziskus nie einen Zweifel daran: Sie sei kein «Parlamentarismus». Aber er liess an einer synodal verfassten und aufgestellten Kirche arbeiten, brachte Frauen in hohe Führungspositionen im Vatikan. Eine andere Debatten- und Streitkultur propagierte er. Widerspruch war erwünscht. Wer wagte ihn?
Franziskus setzte weniger auf Machtworte, als auf Überzeugungsarbeit.
2014 und 2015 fand eine Familiensynode in zwei Etappen statt, 2018 eine Jugendsynode, 2019 die Sondersynode über Amazonien, 2023 und 2024 eine Synode über Synodalität, ihr vorangeschaltet ein mehrjähriger synodaler Weg. Auf das Zweidrittel-Votum der stimmberechtigten Bischöfe, mindestens am Amazonas, wegen des eklatanten Priestermangels über die Weihe von «viri probati» nachzudenken, ging er in seinem Nachsynodalen Schreiben «Querida Amazonia» (2020) mit keiner Silbe ein. Das kostete ihn Sympathien. Er wies ein funktionalistisches Verständnis zurück, das nur auf das Durchboxen einer Agenda aus ist. Wenn er den Eindruck hatte, man gehe mit vorgefertigten Meinungen in Beratungen hinein, war das für ihn keine echte «Unterscheidung der Geister».
Dass Franziskus durch und durch Jesuit war und auf bewährte Instrumente, die ihm von der ignatianischen Spiritualität her vertraut waren, zurückgriff, wurde lange unterschätzt. Den Umgang mit «Trost» und «Misstrost», die Vorbereitung von Entscheidungen, auch schwierigen, lernt ein Jesuit in den Geistlichen Übungen (Exerzitien). Diese prägten Franziskus, seitdem er 1958, mit 22, Jesuit wurde. Erfahrungen als Novizenmeister, als Provinzial (während der argentinischen Militärjunta), als Rektor eines Jesuitenkollegs und Pfarrer, als geistlicher Begleiter und Theologiedozent kamen dazu, bis er 1992 Weihbischof von Buenos Aires unter Kardinal Antonio Quarracino wurde, dem er als Koadjutor (1997) und Erzbischof (1998) nachfolgte. Als Kardinal (2001) und Vorsitzender der argentinischen Bischofskonferenz war er federführend an der Ausarbeitung des Schlussdokuments von Aparecida (2007) beteiligt, der Fünften Vollversammlung der Lateinamerikanischen Bischofsversammlung (CELAM).
Wer das prophetische Apostolische Schreiben «Evangelii gaudium» (November 2013) mit dem langen Text von Aparecida vergleicht, erhält Antworten, was Franziskus theologisch bewegte: Wie kann die Kirche missionarisch ausgerichtet werden – anstatt auf sich selbst fixiert zu sein? Schon im Vorkonklave hatte er vor «autoreferencialidad» gewarnt: Eine um sich selbst kreisende Kirche sei «krank». Volksfrömmigkeit war ihm wichtig. Auch der «sensus fidelium», der Glaubenssinn und -instinkt der Gläubigen, dem er oft mehr zutraute als Theologen. Wichtig war ihm auch die argentinische Volkstheologie, die «teología del pueblo». Lucio Gera, Romano Guardini, Henri de Lubac, Michel de Certeau, Hugo Rahner: Die theologischen Quellen von Franziskus sind eine Mischung aus europäischer und lateinamerikanischer Theologie.
«Prozesse in Gang setzen» war für diesen Papst wesentlicher als «Räume besetzen», auch theologische. Sein Nachsynodales Schreiben «Amoris laetitia» (2016) löste heftige Debatten aus: Franziskus – ein Häretiker? Die Sozialenzykliken «Laudato si’» (2015) und «Fratelli tutti» (2020) zeigten seine Sensibilität für unseren gefährdeten Planeten. Strukturell, behaupten Kritiker, habe Franziskus wenig getan. Stimmt das? Er hat die Lehre nicht verändert. Aber einen pastoralen Ton hineingebracht, anstatt weiter auf pastorale Schlupflöcher oder theologische Quasilösungen zu setzen. Ist das «jesuitische Spitzfindigkeit»?
«Prozesse in Gang setzen» war für diesen Papst wesentlicher als «Räume besetzen».
Franziskus hat den Boden für Neuland bereitet. Er war kein Vertreter einer bestimmten Richtung der Theologie. Sein Pontifikat war das Ende des Schwarz-Weiss-Denkens. Eine «kalte Schreibtischmoral» empfand er genauso wenig lebensdienlich wie abstrakte Theologie aus dem Labor. Antonio Spadaro charakterisierte seine Amtszeit bereits 2020 als «Pontifikat der Aussaat, nicht der Ernte». Ob sich die Linien, die Franziskus ausgezogen hat, auch in der Organisationskultur der Kirche niederschlagen? Die Kurienreform hat er gegen grossen Widerstand durchgezogen. Am Kardinalsrat, dem ausserhalb der Kurie angesiedelten Beratungsgremium, hielt er bis zuletzt fest. Der «point of no return» ist aus meiner Sicht erreicht: Es gibt kein Zurück zu einem sich byzantinistisch darstellenden, autoritär agierenden Papsttum mit der Aura der Unnahbarkeit.
Seine Reisen führten in Länder, die nicht im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung standen: Das ist seine Art, sich zu solidarisieren. In Zürich, Wien, Berlin oder Paris war Franziskus nie. Aber in Myanmar. Oder im Irak. Oder im Südsudan. Wer Franziskus Populismus vorwarf oder ihn als «theologisches Leichtgewicht» verspottete, musste sich eines Besseren belehren lassen. Der «Ignatius von Assisi» hatte etwas von einem «agent provocateur» an sich: Er probierte aus. Er liess gewähren. Er ermöglichte – und überforderte damit. Alles nur Symbolpolitik? Handelte es sich wirklich um eine Reform der Kirche? Ich sage entschieden: Ja! Reformen brauchen Zeit. Synodale Vorgänge auch. Weltfrieden, Weltreligionen, Weltklima: Das waren die grossen Themen. Mit seinen Erklärungen und Manifesten (Abu Dhabi) hat er Meilensteine gesetzt.
Als erste Kardinäle auf offener Bühne über einen möglichen Rücktritt spekulierten und orakelten, wie man Franziskus bewegen könnte aufzugeben («Operation Biden»), intervenierte der Dekan des Kardinalskollegiums, Kardinal Giovanni Battista Re, selbst 91-jährig: Das sei geschmacklos. Auf dem Petersplatz wurde abends der Rosenkranz gebetet, geleitet von Kardinalsstaatssekretär Pietro Parolin. Weil sowohl Dekan wie auch Vizedekan des Kardinalskollegiums, Leonardo Sandri, die Altersgrenze von 80 überschritten haben und das Konklave nicht mehr leiten können, fällt diese Rolle jetzt Pietro Parolin als dienstältestem Kardinalbischof zu.
Die öffentliche Stimmung schwankte zwischen echter Betroffenheit für den letzten Weg eines altersschwachen Papstes und gespielter Sorge bis hin zu klerikaler Pietätlosigkeit. Andrea Riccardi, Gründer der Laiengemeinschaft «Sant’Egidio», brachte es auf den Punkt: «Die Raben beginnen wieder zu kreisen.» Bei Monarchen läuft es anders: «Der König ist tot, es lebe der König.» Das Procedere im Vatikan ist festgelegt: Trauerzeit, Begräbnisriten, Kardinäle aus aller Welt reisen nach Rom, Generalkongregationen, also das sogenannte Vorkonklave, dann das Konklave selbst. Und dann heisst es, wenn die «fumata bianca», weisser Rauch, eine erfolgreiche Wahl anzeigt: «Habemus papam». Derzeit gibt es 252 Kardinäle, von denen aber nur 137 wahlberechtigt sind – die über 80-jährigen können jedoch an den Beratungen im Vorkonklave teilnehmen. Was aber bei vielen altersbedingt wenig wahrscheinlich ist: Der älteste unter ihnen wird bald 100, Kardinal Friedrich Wetter, der frühere Erzbischof von München und Freising, ist 97.
In seiner Mitte Jänner 2025 erschienenen Autobiografie «Hoffe» verriet Franziskus (nicht zum ersten Mal), im Falle eines Rücktritts wolle er sich nach Santa Maria Maggiore zurückziehen, in die Papstbasilika unweit der Stazione Termini, dem Hauptbahnhof Roms. Dazu ist es nicht gekommen. Er wollte sich dort auch, wie zuvor sechs andere Päpste, begraben sehen: «Was meinen Tod angeht, so habe ich dazu eine recht pragmatische Einstellung. (…) Wenn es so weit ist, dann werde ich nicht im Petersdom bestattet, sondern in Santa Maria Maggiore: Der Vatikan ist mein letzter Arbeitsplatz auf Erden, aber nicht der Wohnort für die Ewigkeit.» Das war wohl auch ein letzter Seitenhieb auf die Kurie, die der Jesuit und Freigeist Franziskus oft als Zwangsjacke erlebte.
Andreas R. Batlogg SJ gilt als Franziskus-Kenner. Der österreichische Theologe trat 1985 in den Jesuitenorden ein und war zwischen 2009 und 2017 Herausgeber und Chefredaktor der «Stimmen der Zeit». Er betreibt einen Franziskus-Blog, auf dem er das Pontifikat fortlaufend kommentiert hat: