Verhüllt enthüllt – Das «Fasten der Augen» im Heiligen Jahr

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Besonders im Heiligen Jahr ist die Fastenzeit eine Zeit der Besinnung und inneren Einkehr. Sie lädt uns dazu ein, auf liebgewordene Gewohnheiten und Sinneseindrücke zu verzichten. Nicht nur der Geschmackssinn ist dabei wesentlich, sondern auch das sogenannte „Fasten der Augen“, das wir in diesem Jahr neu in St. Katharina praktizieren wollen. Hierbei werden Kreuze, Statuen und manchmal sogar Altäre mit Tüchern verhüllt. Speziell in der Karwoche, wenn das Leiden und Sterben Christi im Zentrum steht, erinnert die verhüllte Kirche an die Dunkelheit und Verlassenheit, die Jesus am Kreuz erfahren hat. Gleichzeitig verweist sie auf das Geheimnis der Auferstehung, das noch verborgen ist, aber bald enthüllt werden soll. Die Verhüllung von sakralen Gegenständen wirken auf den ersten Blick irritierend, weil sie uns vertraute Anblicke nehmen, die Trost und Orientierung stiften. Doch gerade dieser Verlust birgt eine tiefere Botschaft: Wenn die sichtbaren Zeichen des Glaubens verhüllt werden, sind wir aufgefordert, die Oberflächlichkeit hinter uns zu lassen und nach innen zu schauen. Auch für unseren Alltag ist das Fasten der Augen ein Zugewinn. Oft merken wir gar nicht, wie wir von visuellen Eindrücken überflutet werden – Werbung, soziale Medien und ständige Ablenkungen beanspruchen uns und ermöglichen uns kaum, zur Ruhe zu kommen. Das Fasten der Augen in der Fastenzeit bietet die Gelegenheit, diesen visuellen Reizüberfluss bewusst zu durchbrechen. Wir spüren dann, wie sehr wir uns auf das Sichtbare verlassen und werden zugleich eingeladen, eine andere Form der Wahrnehmung zu üben: Wir lernen, mit dem Herzen zu sehen. Auch Saulus war drei Tage lang mit Blindheit geschlagen, bevor er als Paulus in die Welt trat und lernte das Wesentliche zu sehen. Manchmal braucht es das Gegenteil, den scheinbaren Widerspruch, um das Ziel zu erreichen: Das Samenkorn muss sterben, um zu leben. Wer frei sein will, muss sich binden. Ohne Dunkelheit, kein Licht. Ein gesunder Geist braucht einen gesunden Körper. Wer etwas gewinnen will, muss es zuerst verlieren.
Am Ende der Fastenzeit, in der Osternacht, wird das Verhüllte enthüllt: Die Kreuze in der Kirche, Maria in der Marienkapelle und die Statuen vor der Kirche – Franziskus, Katharina und Christophorus. Sie erstrahlen in neuem Glanz und symbolisieren die Freude der Auferstehung. Dieser Moment der Enthüllung ist ein starkes Zeichen der Hoffnung. Es zeigt uns, dass hinter der Dunkelheit das Licht wartet, hinter der Verhüllung die Wahrheit und hinter dem Tod das Leben.
Fasten ist keine Selbstkasteiung und die Verhüllung keine liturgische Spielerei. In der Leere und Stille der verhüllten Kirche finden wir eine tiefe Spiritualität, die uns auf das Osterfest vorbereitet – das große Fest der Enthüllung. - von Caroline Giovine.
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